Zen Malerei

Was ist für sie charakteristisch?

Zunächst einmal der Raum. Der Raum, der in ihr eine Rolle spielt, ist jedenfalls nicht der europäische Raum mit seinen Abmessungen, jenes inhomogene Medium, in dem die Dinge stehen, das sie umgibt und voneinander trennt. Jene tote Geräumigkeit, die durch die realen Dinge sich verdrängen lässt, zu den anschaulichen Beziehungen von rechts und links, oben und unten, vorn und hinten verdünnt wird. Raum, de nur die Oberfläche der Dinge berührt. Sie schalenartig umschliesst und überall, wo er leer ist, auch bedeutungslos bleibt und anspruchslos.

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Der Raum der Zen-Maler dagegen ist ewig und unbewegt und doch bewegt wirkend, atmet gleichsam, ist gestaltlos, leer und doch Ursprung aller Gestaltung, ist namenlos und doch Grund dessen, was Namen trägt. Um seinetwillen haben die Dinge absoluten Akzent, sind sie alle gleich wichtig, gleich bedeutsam, Ausdruck des Alllebens, das ich in ihnen manifestiert. Daher in solchen Bildern auch die tiefe Bedeutung des leer Lassens, Aussparens. Was nicht angedeutet, ausgesagt wird, das Verschwiegene ist für das Verständnis wichtiger und beredter als das Gesagte, Beredte.

Auch hier, wie in der Schauspielkunst, bekundet sich der tanzlose Tanz dessen, was alles Seiende belebt, durchdringt, hindurchtanzt. Der Raum ist somit nicht ein homogenes, in unendlicher Ferne identisches leeres Medium, sondern die unbegreifliche Fülle des Seins selbst in seinen unendlichen Möglichkeiten. Der Zen-Maler kennt keinen horror vacui, sondern für ihn ist das Leere gerade höchster Verehrung würdig: das Urlebendige, das vor Überfülle keine Gestalt annimmt und sich, um sich zu zeigen, in unerschöpflichem Kreislauf verbesondern muss. Raum ist also nicht die Haut der Dinge umspielend, sondern ihr Kern, Grund, tiefstes Wesen und Seinsgrund. Aus solchen Bildern spricht die Magie des Leeren: den Blick anziehend, Andacht heischend. Und alle Betrachtung beginnt mit der Betrachtung des Leeren.

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In der europäischen Malerei steht der Betrachter außerhalb des Bildes. Was er schaut, erlebt er als Gegenüber, das sich von ihm weg, von seinem Blick weg, entfaltet und Räumliches vis zum Horizont hin erschließt. Es ist, als ob der bloße Blick schon schöpferisch wäre. In dieser Art des Schauens ist alles Gegenüber ein Anderes, ein wesentlich Fremdes, und kommt ihm dadurch zum Bewusstsein, dass er nicht dabei, sondern aus dem Bild herausgehoben ist. Dem gegenüber wird in der chinesischen und japanischen Malerei nicht von außen her in ein Anderes hineingeschaut, sondern es wird das Dargestellte und jede Einzelheit so von innen her gesehen, dass der Schauende darin leben und sein muss, um ihm gerecht zu werden. Damit wird nicht nur die Perspektive gegenstandslos, so dass diese verschwindet, sondern auch die Ordnung von Betrachter und Betrachtetem wird aufgehoben. Der Raum schließt sich rings um den Betrachtenden, der nun überall in der Mitte steht, ohne die Mitte zu sein: er ist nun innen darin, eins mit dem Herzschlag der Dinge. Und das bedeutet zugleich: was ihn umgibt und einschließt ist ihm ebenbürtig, so ebenbürtig, dass es ihn fühlen lässt, es ist nicht für ihn und um seinetwillen da. Es ist nicht das Andere, sondern gleichsam er selbst in ewig sich wandelnder Gestalt, er ist so sehr eins damit, dass er keine Eigenbedeutung mehr gewinnt, sondern darin untergeht und in diesem Untergang sich selbst und nicht sich selbst begegnet: ein schwebendes Verschweben im Seienden.

Das Gegenständliche aber im Bilde, aus dem Urgrunde entlassene Gestaltete – und darum vom Leeren her zu beurteilen – Berge und Wälder, Fels und Wasser, Blüten und Tier und Mensch sind in ihrem Dasein erschlossen, in die konkrete Situation des Hier und Jetzt eingetaucht – und dennoch wiederum nicht ein bloßes Hier und Jetzt. Daher der Charakter des Schwebens und Verschwebens, des das Bestimmte ins Unbestimmte, das Gestaltete in die Gestaltlosigkeit zurück zu nehmen scheint und so Ursprung und Herkunft andeutungshaft sichtbar macht. 

Es gibt Lehrhefte der Tuschemalerei, in denen vom einfachsten Grashalm an bis zur großen Landschaft alles, was dem Malerauge begegnen kann, in seinen Wesenszügen festgehalten wird und in Abbreviatur gerade das einfängt, was der Natur den Charakter der Lebendigkeit verleiht. Es handelt sich da beileibe nicht um Schablonen, die man nachzumachen hätte, so sehr sie dazu reizen. Es sind vielmehr Stil- und Pinselübungen, welche die enge Verwandtschaft zwischen dem Malen und Schreiben der Bilder zeigen. -Wer sie beherrscht, und zwar so, dass er darüber steht und frei geworden und reif ist für Wahrnehmung und Ausdruck feinster Nuancen, der ist dann in der Tat in der Lage darzustellen, was das dritte Auge der Erleuchtung sieht und deutet. 

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Zen-Malerei knüpft an eine große Tradition an: an die Landschaftsmalerei Chinas vor der Berührung mit dem Buddhismus. Da sind die für die Zen-Malerei charakteristischen Züge schon vorgeformt, zum mindesten angedeutet. Dies geht vielleicht auf eine tiefe und verschwiegene Einwirkung des Taoismus zurück. Als der Buddhismus von Indien kommend zuerst in China eindrang und da geradezu revolutionierend gewirkt hat, hat er eine langsame aber umso bedeutungsvollere Wandlung durch das Tao erfahren. So wie China im Laufe der Jahrhunderte der Geschichte eingedrungene Fremdstämme sich einverleibt und mit sich verschmolzen hat, so hat es auch geistig so alles zunächst Fremde angeeignet, um es nur um so schöner und reicher wieder aus sich zu entlassen. Zen ist in der Tat eine Blüte, ja vielleicht die schönste und geheimnisvollste Blüte der unheimlichen Schöpferkraft des chinesischen Genius, uns so ist es kein Wunder, dass Zen-Maler sich auf die vorbuddhistische Malerei Chinas aus dem Geiste des Tao berufen können. Denn im Tao Laotses sind viele Motive, die für Zen geradezu fundamental geworden sind. Was im Tao geahnt, ist im Zen offenbar geworden. 

Was für die Landschaftsmalerei gilt, gilt ebenso für die kleinen und kleinsten Ausschnitte aus Landschaft und Natur für die unerhört lebendigen Bilder, auf denen mit wenigen Strichen ein Bambusstamm mit wenigen Ästen und Blättern oder ein blühender Zweig oder dergleichen hingezaubert ist. Auch sie sind vor vom leeren, gestaltlosen Raum her gesehen zu verstehen. Auch hier ist das Verhältnis von Zeichnung und leerer Fläche entscheidend, ja sogar kommt das eigenartige Raumgefühl noch überzeugender zum Ausdruck. Nichts wäre verfehlter, als darin die schöne Ruhe des Daseins festgehalten und zum Verweilen in unaufhörlicher Anschauung aufgefordert zu finden. Wird diese Bilderschrift wirklich zu lesen versteht, fühlt durch die scheinbare Ruhe die pralle Spannung von Werden und Entwerden, von Entspringen und Zurückgleiten, von Erscheinen und Verschwinden hindurch, fühlt wie das Gewordene im Fluss des Werdens und Entwerdens vibriert – flüchtig, doch unbedingt.

Solche einfachen und einfältigen Bilder, auf denen so verschwindend wenig gezeigt wird, sind voll von Zen und verraten es so laut, dass der Betrachter sich davon überwältigt fühlt. Wer je miterlebt hat, wie bei einer stundenlang sich hinziehenden Teezeremonie der Wechsel des Hängebildes und einer Blume nach einer Pause die Atmosphäre bestimmt, wie  die Gäste in tiefe Konzentration versunken aus diesem Bild tiefste Geheimnisse, die keiner mit Worten zu sagen vermöchte, entschleiert fühlen und mit unerhörtem inneren Gewinn den Teeraum verlassen – der weiß, welche Macht von solchen Bildern ausgeht. 

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Zitiert nach Eugen Herrigel