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Zu meinen Werken

Bilder als Ahnungen von etwas Realem, Bilder als Fragen an das Reale

Alle Geistesanstrengungen haben ein Ergebnis  hervorgebracht, nämlich die Erkenntnis, dass unsere Begriffe leer sind und das Reale nicht fassen.
Die Quantenphysik stellt in Abrede, dass Raum und Zeit real existieren. Die Neurobiologie meint zu erkennen, dass unser Gehirn im Wechselspiel mit seiner Umwelt geformt wird, und diese Umwelt wieder unter evolutiven Zwängen seinen Bedürfnissen gemäß abbildet – weit entfernt von einer „objektiven“ Weltsicht.
Alle Technologie hat uns vor allem wissen lassen, dass die Welt als Folge von Nullen und Einsen abgebildet werden kann, was die Frage nach dem Wesen des Realen jedoch gänzlich offen lässt. 
Die großen monotheistischen Religionen stellen das Konstrukt „Gott“ ins Zentrum ihrer Betrachtung, von dem sie ehrlicherweise sagen müssen, gar nichts zu wissen. (Im Gegenteil: je mehr sie darüber zu wissen vorgeben, desto unmenschlicher wird ihre Ausformung im Leben.)

„Nada, nada.“ Sagt der christliche Mystiker Johannes vom Kreuz über das Wesen Gottes.

„Weil wir es denken können, muss es falsch sein.“ schreibt F. Nietzsche über unsere Fähigkeit zur Erkenntnis.

Die bildende Kunst hat es konsequenterweise aufgegeben, in der Wiedergabe der Form das Reale vermitteln zu wollen. „O.T.“ – Ohne Titel – liest man unter den Bildern. Und hat das Werk einen Titel, so dient dieser  nur zur Befestigung von Assoziationsketten. 

In diesem Kontext sind meine Bilder zu sehen. Ich versuche, absichtslos zu malen, kein inneres Bild vor Augen zu haben und dem Zufall möglichst großen Raum zu lassen. Bestimmend ist vor allem der Malgestus, und derselbe wiederum getragen durch meine Körperspannung, mein Körperwissen, meine Körpererinnerung. Weiterhin bestimmend sind das Wirken der Naturgesetze, das Verrinnen gemäß der Schwerkraft, das Vermengen und Trocknen, das Verändern in der Zeit.

Auf den Malgrund werden absichtslos Farbschichten aufgetragen, rinnen gelassen, und teilweise im noch löslichen Zustand abgewaschen oder im trockenen Zustand abgeschabt. Es entstehen Flächen, frei von Bedeutung, und doch voller Ahnung. 

Gefunden, nicht gemacht.
Form durch Schemenhaftigkeit.
Farbigkeit durch Abnutzung.
Struktur durch Korrosion und Beschädigung.
Mehrdeutigkeit und Widersprüchlichkeit.

Wie eine abgerissene Plakatwand ihre Schichten nur mehr unvollständig, fragmentarisch und beliebig freigibt und so – bar jeder grellen Aufgeladenheit mit Information – ihr Wesen offenbart und zu sich selbst zurückkehrt, so sollen meine Bilder – frei von abbildendem Wollen – Ahnung von der uns umgebenden Realität sein, befreit von abgebildeten Begrifflichkeiten, deren Inhalte, wenn wir dem Philosophen glauben wollen, ohnehin nicht fassbar sind. 
So glaube ich, dass meine Bilder dem Realen näher sind als alle Begriffe, welche uns den Blick auf Selbiges verstellen. 

Ein buddhistischer Weiser verglich unser Wissen mit dem Zählen von Erbsen. Was für eine prophetische Gabe!  Heute entsteht Wissen durch den Vergleich von Kolonnen aus Nullen und Einsen. Aus der banalen logischen Verknüpfung von Sein und Nicht-Sein entsteht in Lichtgeschwindigkeit höchste Komplexität!

Null und Eins als Archetypen der Kommunikation, der Information und des Wissens stehen jedoch gleichzeitig für die Blutsverwandtschaft von Wissen und Nicht-Wissen, Information und Informationsüberflutung, Kommunikation und Desinformation. Und sie erinnern uns auch an die demütigende Tatsache, dass mit dem geschmeidigen Rasseln der Rechner unser Wissen der Veränderung unterliegt und jeder state-of-the-art jeweils dem letzten Stand des Irrtums entspricht. Selbst die binäre Präzision vermag nichts gegen die Mehrdeutigkeit des Realen auszurichten. Diese Mehrdeutigkeit fasziniert mich und hat mich zu einer Bilderserie inspiriert. Null und Eins als Buchstaben der Sprache, die unser Wissen von der Welt umreissen soll, als Chiffren der Unschärfe unserer Begriffe, als Metaphern für Mehrdeutigkeit und Widersprüchlichkeit. 

Null und Eins als Dogma, welches vor der Frage nach dem Wesen der Dinge verstummt – sich vor dem Realen zum Fragezeichen verkrümmen. In einem Bild ausgedrückt als Metamorphose vom binären 9 „IOOI“ zum Akronym  „ICQ“ – I seek you. 

Gleich einem Kind, das seine Mutter sucht.

- Peter Gungl